Finsteraahorn 4274 Hm

9. – 11. August 2004

 

Eigentlich hatte ich zu Beginn kein gutes Gefühl: Habe ich mir mit dem Fin­steraarhorn, immerhin 4274 Meter hoch, und abseits gängiger Wege, mit meinen 66 Jahren nicht etwas viel zugemutet? Hatte ich etwas gar leicht-sinnig Denise die Tour zugesagt ?

 

Als es so weit war, am 9. August, fuhr ich mit zwiespältigen Gefühlen weg.

Der Wetterbericht hatte für Montag schönes, trockenes Wetter angesagt, mit hohen Schleierwolken. Für Dienstag ebenso, mit einem Wetterumschlag am Nachmittag oder Abend, und unbeständig regnerischem Wetter bis in den Mittwoch-Mittag hinein. Also mehr ein Loch, um die Tour vielleicht hinein­zubringen, als wirklich sicheres Wetter.

 

Und wieso habe ich beim Packen des Rucksacks weder an die Windjacke noch einen Pullover noch ein Leibchen noch lange Unterhosen gedacht?

 

Die Hinfahrt über den Brünig nach Zweilütschinen verlief problemlos, eben­so die Fahrt auf die kleine Scheidegg. Dort aber hüllten sich erstens die Gipfel in Nebel, und zweitens gab’s in der Jungfraubahn nur noch Stehplatz an der Tür. Dafür entschädigte uns der Kondukteur mit einem Getränke­gutschein für’s Joch. Diesen lösten wir dann auch ein, inmitten von Japa­ner- und Inder-Gschtürm. Nur rasch raus da, ab durch den Stollen.

 

Und draussen? Es schneit und regnet durcheinander! Das darf ja nicht wahr sein, aber sicher auch kein Anlass zu Überlegungen, ob man evt. besser umkehren sollte. Schliesslich waren die Bahnbillete ja gekauft und zur Hälfte abgefahren. Also weg, hinab auf den Gletscher. Dort zeigen sich bald die ersten Spaltenlöcher, so dass wir uns zum Anseilen entschliessen, und die Steigeisen montieren. Die Regenpellerine über dem Hemd wird, der lauen Temperatur entsprechend, ausreichen.    

Zügig geht’s den Jungfraufirn hinab, mit vorsichtigen Sprüngen über halb offene Gletscherspalten, bis auf den ausgeaperten Konkordiaplatz, wo wir nun aufpassen müssen, dass wir die Spur um all die offenen Löcher herum nicht verlieren. Wir finden aber sicher das Steglein über eine riesige Spalte, zum Glück hat’s ja keinen Nebel. 

 

Nach links biegen wir auf den Grüneggfirn, hoch oben zeigt sich die Grün­horn-lücke, die wir nun auch zügig angehen.  

Von wegen zügig. Ja, die Denise schon, aber ich kann mit ihrem Tempo gar nicht Schritt halten. Das habe ich zwar gewusst, möchte sie aber doch nicht zu sehr enttäuschen, und folge ihr so an der oberen Grenze meiner Möglich­keiten, wohl merkend, dass sie gerne mehr zulegen würde. Auf der Grün­hornlücke bin ich darum ziemlich ausgepumpt.

 

Das Finsteraarhorn ist auch nicht gerade bester Laune. 

 

Der Abstieg zum Fieschergletscher und dessen Traversierung gehen dann wieder leichter, nur der Aufstieg zur Finsteraarhornhütte fordert nochmals kurz mehr Schnauf, dann ist der erste Tag geschafft, nach fünf Stunden treten wir in den trockenen Materialraum.

 

Bald nach dem Nachtessen legen wir uns im vollen Zwölfer-Schlafraum auf die Pritsche (mit Searsucker-Decke). Ich habe leichte Schüttelfröste, wie immer, wenn ich mich stark angestrengt habe, und denke sorgenvoll an den morgigen Tag.

 

Mag ich ? Bin ich noch stark genug ?

Was ist bei zweifelhaftem Wetter ?

Ich darf doch Denise nicht enttäuschen.

 

Nach unruhigem Schlummer muss ich um drei auf’s Pissoir. Sternenklar! Also heisst es um vier Uhr aufstehen, kurzer Zmorgen, weg um halb fünf. Zügig steigen wir im Licht der Stirnlampen aufwärts, gefolgt von weiteren Lichterreihen. Denise ist bereits wieder weit voraus. In der ersten Dämme­rung ziehen wir am Gletscher die Eisen an, seilen uns an, und steigen über den aperen steilen Gletscher an den Grat zum Frühstücksplatz hinauf. Das geht recht gut, und ich beruhige mich, fange an, an den Erfolg zu glauben.

  

Der Aufstieg zum Hugisattel scheint gar nicht so sehr lang und steil.

Aber oha. Es geht aufwärts und aufwärts, und scheint nicht zu enden. Denise zieht, ich keuche. Und leide. Sage mir: Nicht stehen bleiben, das bringt nichts. 

 

Endlich endlich ist der Sattel erreicht. Steil bäumt sich der Grat auf, aber der macht mir eigentlich wenig Angst, hier im Fels, wo man auch die Hände braucht, wird es mir besser gefallen.  

Und so ist es dann auch. Zwar habe ich immer noch Mühe mit dem Schnau­fen, und die Arme sind auch müde, aber ich weiss jetzt: Wir schaffen es, und das gibt Auftrieb! Um halb neun stehen wir auf dem Gipfel!

 

Wir sind beide glücklich.

Weit geht der Blick in die Bergwelt.

Im Osten hinab zum Finsteraargletscher und gegen die Grimsel hinaus, im Westen zum Grünhorn und den Fiescherhörnern, hinüber zur Lötschenlücke und den Walliser Viertausendern.

 

Nach kurzem Staunen, es ist kühl da oben, geht’s an den Abstieg, wo uns nun mehr und mehr nachfolgende Partien entgegen kommen.

   

Zurück am Hugisattel sind wir überglücklich, und Denise schickt, im Ange­sicht von Schreckhorn und Lauteraarhorn, an Mama ein SMS.

 

Durch bereits ziemlich aufgeweichten Firn steigen wir noch problemlos hin­ab zum Frühstücksplatz, ausser dass ich im linken Oberschenkel einen zünftigen Krampf einfange, der mich wieder auf die Zähne beissen heisst. Trotzdem, am Mittag sind wir auf der Hütte zurück. Die Hitze flimmert über den Gletscher bis zur Grünhornlücke, die wir morgen wieder überschreiten sollen

 

Ich aber lege mich den ganzen Nachmittag auf die Pritsche, oft wieder frie­rend, mit schmerzenden Beinen.

 

So um vier meldet Denise, dass es regnet … Ja, so ist es. Wie wird da wohl morgen der Rückweg zum Joch? Allerdings erhole ich mich bis gegen Abend recht gut, so dass ich beim Nachtessen sogar den Halben mit Denise auf unseren Gipfel geniessen kann. Und in der Nacht schlafen wir diesmal wie die Munggen. Einzig kurz unterbrochen durch einen Aufruf des Hütten­warts, Hedy sei am Telefon und suche uns … Sie hatte uns heute Abend zurück erwartet …

 

Der Morgen weckt mich mit Regengeplätscher. Uiuiui.

 

Düsteres Frühstück in düsterer Stimmung, aber zurück müssen wir heute. Um viertel vor acht verlassen wir die Hütte, und oh Wunder, der Regen hat aufgehört.

So können wir guter Dinge den Gletscher queren und den Anstieg zur Grün­hornlücke angehen. Eine Viererpartie überholen wir nach dem steilen Teil, zwei Spanier kurz darauf, nachdem einer der beiden gleich vor uns halbwegs in einer Spalte verschwunden ist.

 

Das Wetter beginnt jetzt hinter der Lötschenlücke immer mehr aufzuhellen, so dass wir im Abstieg zum Konkordiaplatz die Spielformen des Grüneggfirns richtig geniessen. Mir geht es ausgezeichnet, keine Krämpfe, keine Schmer­zen mehr.

Rechts um die Ecke erscheint jetzt wieder der Jungfraufirn, die Jungfrau selber hüllt allerdings ihr Haupt nochmals in Nebel.

 

Doch das stört uns nicht besonders, im Gegenteil, wir sind froh, dass die Sonne nicht allzusehr brennt für den Aufstieg zum Jungfraujoch. Dabei erwischt es mich nämlich nochmals ganz enorm, ich muss meine Schritte verlangsamen und erbärmlich schnaufen, während Denise doch möchte und möchte. Das ist fast ein wenig deprimierend. Nur nicht stehen bleiben, nur nicht stehen bleiben, das bringt gar nichts!

 

 

Aber: Schliesslich bin ich halt jetzt ein 66‑jähriger Mann, und schliesslich bin ich in einer annehmbaren Zeit auf dem Finsteraarhorn gewesen, und schliesslich habe ich in 24 Stunden ohne Akklimatisierung eine Höhen-differenz von 3‘900 Metern gepackt (Denise hat in der Woche zuvor im Wallis 10 Viertausender bestiegen) und schliesslich sind wir nach sechs Stunden auf dem Joch zurück, und da sind die Strapazen gleich vergessen, und unser Glück ist gross.    

Jungfraujoch

Konkordiaplatz

Grünhornlücke

Finsteraarhornhütte

 

Jungfraujoch - Finsteraarhornhütte

 

Früstückplatz

Hugisattel

Gipfel

 

Finsteraarhornhütte Gipfel

 

Ganze Tour

3464 MüM

2720 MüM

3280 MüM

3050 MüM

 

1054 M Abstieg,  640 M Aufstieg

 

3620 MüM

4090 MüM

4274 MüM

 

1220 M Aufstieg, 2500 M Luftlinie

 

5800 Höhenmeter, 31,6 Km Distanz